09.09.2022
Denise Fernholz

Stan Lehmann über das Ende von FYEO, sein neues Baby PantaSounds und die Zukunft von Podcast-Verfilmungen

Tristan Stan Lehmann über FYEO, Pantasounds und Podcast Verfilmungen

Das Ende der kostenpflichtigen Podcast-Plattform FYEO (Abkürzung für For Your Ears Only) von ProSiebenSat.1 im Juli letzten Jahres kam unerwartet – zumindest für mich. Klar, User:innen davon zu überzeugen, für etwas zu bezahlen, das es jahrelang gratis im Internet gab, ist schwierig. (Das kennen wir schon vom Online-Journalismus.) Aber dass das Projekt etwas über ein Jahr nach Launch wieder eingestellt wurde, hatte der Branche einen Stich versetzt. Funktionieren Podcasts mit Paywall in Deutschland nicht?

Darüber habe ich mit Tristan Lehmann, genannt Stan, gesprochen, er war damals Chef bei FYEO. Warum es vielleicht einfach nur ein Netflix für Podcasts geben muss, warum er jetzt Podcasts für eine Filmproduktionsfirma produziert und wie man einen Fiction-Podcast über so ein ernstes Thema wie K.O.-Tropfen macht, erfahrt ihr im Interview.



Interview mit Tristan »Stan« Lehmann über FYEO, PantaSounds und »Mitten am Tag«

Wie kam es zum Ende von FYEO?

Stan: Wir haben damals gemeinsam auf die Entwicklung von FYEO geschaut – und die hat leider nicht den Erwartungen entsprochen, die wir alle an das Business dahinter hatten. Ich glaube, dass wir alle happy waren mit der inhaltlichen Ausrichtung und dass die Plattform an ganz vielen Stellen genau der Vision entsprochen hat, die wir mal im Gründerteam formuliert hatten. Und ich glaube auch, dass wir Dinge geschaffen haben, die nachhaltig den deutschen Audiomarkt geprägt haben. Wir waren mit »Affäre Deutschland« der erste Podcast, der einen Reporter:innen-Preis gewonnen hat. Seitdem gibt es die Kategorie »Bester Podcast«. Letztendlich ist eine Paywall für Audio einfach nach wie vor etwas, das einen langen Weg zu gehen hat. Auch wenn ich überzeugt bin, dass es in der einen oder anderen Form das Modell der Zukunft sein wird.

Das war im Streaming nicht anders. Ich komme ja ursprünglich von Maxdome, zu einer Zeit als Netflix in den deutschen Markt eingetreten ist. Wir hatten damals überlegt, wie wir das Wort Streaming der breiten Masse an Konsument:innen da draußen erklären können. Das Verständnis dafür, was unser Service leisten kann, hat noch gefehlt. Wenn man sich überlegt, wie schnell das dann aufgeholt wurde mit einem großen Player wie Netflix … Mittlerweile geht es schließlich darum, wer das beste Angebot hat, aber nicht mehr darum, wie das technisch funktioniert oder wie ich das Angebot überhaupt abrufen kann. Mit FYEO haben wir ein sehr frühes Modell für Paid-Audio geliefert, was vielleicht an der einen oder anderen Stelle noch zu früh war für den Markt.

Was glaubst du, bräuchte es, um dahin zu kommen? Bräuchte Audio auch eine Art Netflix, das Podcasts in die breite Masse spült?

Stan: Ja, das glaube ich. Im Grunde genommen hat Spotify in vielerlei Hinsicht diese Rolle in den letzten Jahren eingenommen. Wenn man sich überlegt, dass der Deal mit »Gemischtes Hack« als Exclusive gerade mal drei Jahre her ist – das zeigt, mit welchem Nachdruck und mit welcher Stringenz Spotify die Strategie verfolgt hat, Podcast als Standard in ihrem Markenkern zu etablieren, sodass sich diese drei Jahre, in denen das stetig ausgebaut wurde, eher anfühlen wie mindestens fünf. Es ist ja überhaupt nicht mehr wegzudenken. Player wie Spotify tun da schon sehr viel für den Markt.

Kommen wir zu deiner neuen Aufgabe. Wie haben du und PantaSounds eigentlich zusammengefunden?

Stan: Ich hatte Pantaleon Films schon ganz lange auf meinem Zettel als sehr ansprechenden Arbeitgeber. Und die Firma PantaSounds gab es schon, bevor ich angefangen habe. Die wurde ursprünglich dafür gegründet, die Musik von Matthias Schweighöfer zu produzieren und vertreiben. Weil sich sein Fokus aber von der Musik wegbewegt hat, war die Frage, was macht man mit dieser Firma? Wenn man sich die anderen Geschäftsfelder der Pantaflix AG anschaut, dann greift Podcast viel stärker in die Wertschöpfungskette als Musik ein. Bei Podcasts kann theoretisch Content entstehen, der weiterverwendet werden könnte.

Und was würdest du sagen macht PantaSounds anders als andere Podcast-Produktionsfirmen?

Stan: Ich möchte diese Frage mutig beantworten mit: gar nichts. Ich finde, dass in dieser Branche viel zu viel aufgebauscht wird. Mir sind diese ewigen Lobgesänge auf sich selbst total zuwider geworden. Ich glaube, es tut uns allen gut, uns ein Stück ehrlicher zu machen. Wir machen insofern gar nichts besonders, als dass wir genauso viel Leidenschaft und Begeisterung für das Medium haben, wie ganz viele andere fantastische Produktionsfirmen im Markt, die ganz tolle Arbeit leisten. Ich glaube aber, der Markt ist groß genug für viele Produktionsfirmen, die tolle Ideen mit Liebe und Lust umsetzen.

Ihr habt euch für euer erstes Original ein sehr schweres Thema ausgesucht. Warum?

Stan: Am Ende des Tages lag es an dem Zugang, den wir zu dem Thema hatten. Über die Betroffene, die mit dieser Geschichte an unsere Drehbuchautorin Sintje Rosema herangetreten ist. Dadurch hatten wir das Gefühl, dieses Thema der K.o.-Tropfen – was wir für extrem relevant halten – gebührend bearbeiten und ihm gerecht werden zu können, indem wir die Geschichte in Zusammenarbeit mit der Betroffenen aufgearbeitet bzw. fiktional umgearbeitet haben. Zusätzlich zu dem Fiction-Podcast »Mitten am Tag« ist gerade auch der Doku-Podcast »Mitten am Tag – Die Dokumentation« erschienen, in dem wir die Geschichte, wie sie im echten Leben passiert ist, erzählen werden, inklusive O-Tönen von vielen mutigen Betroffenen und Survivor:innen, die solchen Anschlägen zum Opfer gefallen sind. Nicht nur um auf das Thema hinzuweisen, sondern auch darauf, dass so etwas am helllichten Tag passieren kann, nicht nur in der Clubszene. In der Doku geht es auch darum: Wer macht sowas? Warum macht man sowas? Wie kann man sich davor schützen? Und wo finde ich Hilfe?

Warum habt ihr euch dazu entschieden sowohl einen Fiction- als auch einen Doku-Podcast zu machen?

Stan: Das ist während der Arbeit am Drehbuch passiert. Als wir die ersten Fassungen gelesen haben, kam mir die Geschichte sehr nahe und ich hatte das Gefühl, die Fiktion wird umso stärker, wenn wir ganz deutlich aufzeigen, wie realitätsnah wir geblieben sind. Wir haben uns ganz bewusst dafür entschieden, aus dem Fiction-Podcast keine Hollywood-Version eines solchen Verbrechens zu machen, sondern haben versucht, der echten Geschichte so treu wie möglich zu bleiben. Denn ich möchte nicht spoilern, aber es gibt natürlich bestimmte Erwartungshaltungen bei einer Geschichte, die wie ein »Whodunit« daher kommt, also mit der Frage im Zentrum, wer der Täter ist. In der Realität – und das werden wir dann auch in der Doku hinlänglich betrachten – wird diese Aufklärung aber leider selten geleistet. Ganz, ganz viele Betroffene müssen für immer damit leben, nicht zu wissen, wer es war und gegebenenfalls auch nicht zu wissen, was genau passiert ist. Das finde ich fast das Unerträglichste, was ich mir vorstellen kann.

Beim Hören fand ich es total krass, wie man in die Geschichte reingezogen wird. Ich bin froh, dass mir sowas noch nie passiert ist. Ich glaube, dann hätte ich mir den Podcast nicht weiter anhören können. Durch die Art wie er produziert ist, wirkt alles sehr real. Deswegen würd mich interessieren, wie die Produktion aussah. Wie habt ihr das geschafft?

Stan: Das haben wir zu einem großen Teil unserem Cast zu verdanken, allen voran Luise von Finckh in der Hauptrolle als Vivi, die sich unglaublich hat mitreißen lassen von dem Stoff. Es ist sicherlich so, dass sich ein Hörspiel zu produzieren anders anfühlt, als einen Film zu produzieren. Die Fallhöhe, die dadurch entsteht, dass man erst mal in der Maske sitzt und dann stehen da 50 Leute am Set und halten Licht auf dich und eine oder mehrere Kameras. Und du stehst da im Kostüm und musst jetzt performen. Da entsteht natürlich eine gewisse Epik, die auch dafür sorgt, dass eine Performance ernst genommen wird. Anders im Hörspiel, wo du vielleicht in Jogginghose ins Studio kommst. Von daher ein riesen Kompliment an Luise, dass sie sich genauso intensiv auf diese Rolle vorbereitet hat, wie sie es machen würde, wenn sie einen Film oder einer Serie mitspielen würde. Aber auch was unsere Studio-Kollegen von Hammer & Amboss an Soundkulisse geleistet haben – das ist beachtlich.

Bei der FYEO-Produktion »Lynn ist nicht allein« sind wir on location gegangen und haben draußen Aufnahmen gemacht. Das heißt also, wenn du eine Szene im Wald hörst, dann waren wir im Wald. »Mitten am Tag« ist komplett im Studio entstanden. Trotzdem klingen die Kulissen unglaublich echt – das ist wirklich fantastische Arbeit im Sounddesign und fantastische Arbeit von unseren Darsteller:innen am Mikrofon.

Ihr sitzt ja an der Quelle, was das Thema Podcast-Verfilmungen angeht. Ist da was in Planung? Wie steht ihr generell zu dem Thema?

Stan: In den USA ist es ja inzwischen so, dass das Usus ist, dass Podcast als Quelle für Film- und Serien-Adaptionen genutzt werden: »WeCrash«, »The Dropout« … Der Podcast läuft dem Buch als Adaptionsquelle ein bisschen den Rang ab. Wir sind uns dessen sehr bewusst und selbstverständlich gibt es in der gesamtstrategischen Ausrichtung der Pantaflix-Gruppe sehr viel Sinn, dass wir unter Umständen mit Podcast Fiction erschaffen, die danach noch als Adaption weiterleben kann. Ich kann auf jeden Fall sagen, dass ich mir »Mitten am Tag« als Bewegtbild-Umsetzung hervorragend vorstellen kann.

Ich habe letztens in einem Interview gehört, da hat jemand – ich glaube, aus einer Filmproduktionsfirma – erzählt, dass sie gerne, wenn sie ein Drehbuch haben, es erstmal als Podcast umsetzen, um zu gucken, wie das beim Publikum ankommt. Im Vergleich zum Film ist es ja immer noch viel günstiger, einen Podcast zu produzieren und ihn als Testballon zu benutzen. Könnt ihr euch sowas auch vorstellen?

Stan: Ja, auf jeden Fall. Bei Stoffen, bei denen man erst Überzeugungsarbeit bei möglicherweise Partnern leisten muss, mit denen man das dann zusammen umsetzen möchte – da kann ein Podcast wahnsinnig gut helfen, zu beweisen, dass der Stoff ein Publikum findet. Aber man darf natürlich auch nicht vergessen: Spielgeld gibt es nicht. Das heißt also Fiction ist für Podcast-Verhältnisse extrem teuer zu produzieren – für Filmverhältnisse sehr günstig. Aber aus der Podcast-Brille heraus betrachtet, ist das immer ein High-End-Produkt. Von daher ist es auch kein Selbstläufer einfach zu sagen, man nimmt jetzt jedes Drehbuch, das in der Schublade liegt, baut daraus einen Podcast und dann gucken wir mal.

Und kannst du schon was verraten, wie es mit PantaSounds weitergeht?

Stan: Ich kann eine Sache erzählen: Wir haben das Format »Keine zwei Männer« mit Moderatorin Jeannine Michaelsen und Comedy-Autorin Mariella Tripke unter Vertrag genommen und werden mit den beiden zusammen aus diesem Podcast, der vorher eher ein Hobby war, ein Weekly Format bauen, das ab dem 13. September wöchentlich startet. Darin werden sich die beiden über alles unterhalten, was gesellschaftlich relevant ist. Vielleicht auch hier und da eher feministisch geprägte Themen. Allerdings alles in einer liebenswerten Art, ohne Vorbehalte, Zeigefinger und mit viel Humor. Darauf freue ich mich schon sehr.

Denise Fernholz

Schreibt für Podstars den Podcast-Newsletter MIXDOWN und versucht, möglichst viele Fotos ihrer Katzen Polly und Coco darin unterzubringen. (Klappt meistens.)

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