01.09.2021
Denise Fernholz

Interview mit Nicolaus Berlin: Wie passen Podcast und Social Media zusammen

Nicolaus Berlin im Interview über den Podimo-Podcast »WE/R«

Treue Leser*innen wissen mittlerweile, dass ich besonders für innovative Podcast-Konzepte zu haben bin. Deswegen war ich auch Feuer und Flamme, als ich von Podimo die ersten drei Folgen von »WE/R – Das Verschwinden meiner Schwester« geschickt bekommen habe, ein Fiction-Podcast, der mit Social Media verschmilzt und dadurch auch mit der Realität. Erzählerin im Podcast ist Jette, deren kleine Schwester Karli spurlos verschwunden ist. Ihr letztes Lebenszeichen war eine Instagram-Story am 31.10.2020 von einem alten Militärgelände bei Berlin. Im Podcast versucht Jette durch die Instagram-Stories von Karli und ihrer Clique »WE/R«, die mit ihr verschwunden sind, ihre kleine Schwester wiederzufinden. Die Stories kann man auf Instagram selbst anschauen, jeder Charakter hat seinen*ihren eigenen Account. So sind die Hörer*innen mitten in der Suche dabei.

Jette glaubt, dass das Verschwinden mit einem Ereignis im Sommer 2020 zu tun hat. Damals wurde »WE/R« von einer unbekannten Person zu einem angeblichen Rave in einen Wald gelockt. Die Suche führt sie in tiefe Abgründe einer Dorfgemeinde in Brandenburg. Und sie stößt auf den Glauben eines jahrhundertealten geheimen Kults und Geheimnisse ihrer eigenen Familie.

Ein Podcast, der mit Social Media spielt – das kannte ich so bisher noch nicht. Deswegen habe ich mit Nicolaus Berlin, Head of Germany bei Podimo, gesprochen und ihn gefragt, wie die Produktion zustande gekommen ist und wie er die Zukunft von Fiction-Podcasts in Deutschland sieht. Nächste Woche kommt übrigens noch ein Interview mit Jette Volland, der Regisseurin und Produzentin von »WE/R«.

Interview mit Nicolaus Berlin, Head of Germany bei Podimo

Wie seid ihr eigentlich auf die Idee für »WE/R« gekommen? Die ist ja schon eher außergewöhnlich.

Nico: Absolut. Wir bekommen ständig verschiedene Pitches für Podcastkonzepte – und hatten dann plötzlich den Pitch von »WE/R« auf dem Tisch. Der hatte das erste Mal einen komplett anderen und neuen Ansatz, bei dem auch wir ehrlich zugeben müssen, dass wir am Anfang gar nicht das ganze Konstrukt dahinter richtig begriffen haben. Trotzdem haben wir sofort gemerkt, dass es etwas Besonderes ist, das es noch nicht gab. Was sehr geholfen hat, war, dass »WE/R« zuvor als Webserie auf Instagram und Snapchat rausgekommen ist. Damit konnte sie uns das Ganze erklären und Klarheit schaffen.

Das heißt, die ganzen Social-Media-Posts von vor zwei Jahren und so, die gab es schon, die mussten nicht extra für den Podcast angelegt werden?

Nico: Genau, die wurden für das Projekt schon angelegt. Und dann war eben die Frage: Wie können wir jetzt das, was als visuelle Story schon mal auf Social Media visuell erzählt wurde, in Audio übertragen? Das war eine unfassbare Arbeit für das ganze Produktionsteam: Wie verknüpft man das alles? Wie schickt man die Leute auf den richtigen Post? Und wie lässt man das diese crossmedialen Erfahrungen authentisch rüberkommen? Wir haben eine Art digitale Schnitzeljagd erschaffen, auf die die Hörer aufspringen können und sich immer fragen: Ist das echt? Ist es nicht echt? Was ist hier eigentlich los? Das ist Teil des ganzen Charmes.

Ich muss gestehen, ich hatte deine Mail überflogen und hab nur gelesen, ich kann schon mal in Folgen reinhören. Also hab ich sie mir einfach runtergeladen und reingehört. Zuerst dachte ich: Oh Gott, was ist das? So ein verrückter Fall! Ich hab dann direkt auf Instagram geguckt und dachte, das kann doch nicht echt sein. Schnell ist mir dann klar geworden, das ist Fiktion. Aber es ist so authentisch, dass ich total geflasht war.

Nico: Ich hatte sowas zuvor nur einmal bei der Serie »4 Blocks« gesehen. Zwischen den Episoden, die rausgekommen sind, gab es Instagram-Stories zu machen, in denen die Protagonisten plötzlich vor dem Gefängnis standen und drüber gesprochen haben. Das ist mir damals schon aufgefallen. Ich hatte aber nicht so richtig auf dem Schirm, was da eigentlich auf uns zukommt. Weil die Geschichte so komplex ist, haben wir uns außerdem dazu entschieden, dass die ersten vier Episoden kostenlos auf allen Plattformen verfügbar sind, damit die Leute eine Chance haben, in die Story einzutauchen und diese neue Art des Storytellings mitzuerleben. 

Wann fing die Planung an? Allein die ganzen Posts raussuchen und in die Geschichte einzubauen hat wahrscheinlich viel Zeit in Anspruch genommen.

Nico: Die Planung und Produktion hat mit Sicherheit sechs Monate gedauert. Und das ist ja aufbauend auf der ganzen Arbeit, die davor geleistet worden. Ich glaube, das Team um die Webserie bestand aus 25, 30 Leuten, inklusive Postproduktion. Für den Podcast war es auf Seiten der Produktionsfirma ein Kernteam von drei Leuten und auf unserer Seite natürlich nochmal zwei, drei. Recht schlank. Obwohl, drei bis sechs Leute für einen Podcast ist auch eine anständige Zahl.

Bei »WE/R« verschwimmen Realität und Fiktion. Wie stellt ihr denn sicher, dass die Hörer*innen nicht verwirrt sind und denken, das wäre tatsächlich ein echter Fall?

Nico: In erster Linie finden wir, genau das macht den Charme der ganzen Sache aus. Die ständige Frage: Ist das jetzt echt? Das löst schon wahnsinnig viel Spannung aus. Gleichzeitig versuchen wir, sie nicht proaktiv zu verwirren und haben den Podcast überall eben nicht als True Crime kategorisiert, sondern als Fiction-Podcast. In den Shownotes beschreiben wir ihn als Mystery-Podcast. Da versuchen wir in der Kommunikation sehr klar und transparent zu sein. Wobei wir bei der Story den Leuten diesen Charme nicht nehmen wollen.

Ich habe tatsächlich auf eurer Website geguckt, ob irgendwo ganz explizit steht: Diese Geschichte ist erfunden. Aber tut es nicht. Ich finde es spannend, dass ihr damit spielt, dass man immer nicht so richtig weiß, was ist echt und was nicht.

Nico: An welcher Stelle war dir klar, dass es Fiktion ist?

Je mehr ich bei Instagram geguckt habe, desto öfter dachte ich: Man kann nicht von so jungen Leuten einfach den ganzen Content nehmen und daraus einen Podcast machen. Mir ist es also eher wegen Persönlichkeitsrechten und Copyrights aufgefallen. (lacht) Was sind die Herausforderungen bei so einer multimedialen Produktion oder generell dabei, aus einer aus einer Serie einen Podcast zu machen?

Nico: Auf der einen Seite war es natürlich wahnsinnig hilfreich, dass es schon den ganzen Social Media-Kosmos um »WE/R« gab. Auf der anderen Seite ist das natürlich wahnsinnig anspruchsvoll. Du musst diesen Content wirklich bis ins allerletzte Detail kennen, um alles in einen Podcast einzubauen. Man muss die Hörer zu den richtigen Instagram-Posts leiten und es dürfen natürlich keine Logikfehler gemacht werden.

Gen Z
© Junique Productions / Fotografin: Maxi Hötzeldt

Durch das Projekt habt ihr jetzt Erfahrungen damit, Social Media und Podcasts zu mischen. Habt ihr Ambitionen, das auch mal komplett für einen Podcast von vorne zu machen?

Nico: Es reift dieser Gedanke immer mehr, wir finden es extrem spannend. Ausschließen würde ich es auf keinen Fall, aber es ist natürlich auch extrem aufwendig, sowas von Anfang an zu machen. Den Aufwand muss man da ein bisschen ins Verhältnis stellen zu dem Nutzen. Gleichzeitig wäre ich auch überrascht, wenn wir nicht nochmal so ein Projekt von uns aus machen.

Mich hat »WE/R« an diesen Instagram-Account von Sophie Scholl erinnert. Solche Projekte wird es in Zukunft wahrscheinlich noch öfter geben. Im Bereich Storytelling auf Social Media ist in Deutschland ja noch nicht viel los.

Nico: Hundertprozent. Wir haben schon mit großen Streaming-Plattformen gesprochen zu Konzepten, bei denen zum Beispiel eine Serie in den Staffel-Pausen oder der Zeit zwischen zwei Episoden von einem Podcast begleitet wird, der weitere Informationen hineinspielt und das Ganze weiterleben lässt. Und ich glaube, dass man eben auch im Film Social und Audio sau spannend kombinieren kann, um die Fans bei der Stange zu halten und die Story über verschiedenste Kanäle und Touchpoints zu erzählen. Da hatten wir schon einige Gespräche, in denen alle Beteiligten sehr begeistert waren. Da wird sich sicher in den nächsten Monaten und Jahren noch richtig viel tun.

Und wie sieht es bei euch aus mit Podcastsverfilmungen? Ihr habt ja viele Storytelling-Formate, die sich auch als Film oder Serie eignen.

Nico: Das sind Themen, die wir immer wieder auf dem Radar haben. Global hat Podimo über 650 Podcasts und ist damit wahrscheinlich einer der größten Podcast-Owner und Anbieter. Auch da würde es mich nicht wundern, wenn wir in Zukunft mehr in die Richtung denken. Das ist natürlich eine super spannende Entwicklung, deswegen kaufen Firmen wie Amazon auch so Firmen wie Wondery. Weil sie darin eine spannende und kostengünstige Möglichkeit sehen, Geschichten zu testen, die nachher verfilmt werden könnten. Damit nimmt man wahnsinnig viel Risiko raus. Riskomanagement in der Formatentwicklung ist auch etwas, das uns täglich beschäftigt. Auf der einen Seite haben wir viele richtige Entscheidungen in der Formatentwicklung und Auswahl getroffen, auf der anderen Seite aber auch einige falsche. Beim Thema Content ist es schwierig vorherzusagen, was erfolgreich wird. Storys müssen dieses gewisse Etwas haben, das die Leute wirklich packt und mitreißt. Das ist in einer gewissen Art und Weise eine Kunst. Das kann nicht einfach wissenschaftlich runtergebrochen werden, wo man sagt, es muss ABC das Rezept einfließen, dann kommt ein toller Podcast dabei heraus. Wenn wir die Möglichkeit haben, über Audio mehr Sachen zu testen und zu produzieren, macht es auch durchaus Sinn, das im nächsten Schritt in weiteren Medienformen auszuspielen.

Wie siehst du die Zukunft vom Podcast-Genre Fiction in Deutschland?

Nico: Von der Hörerschaft her sehe ich da enormes Potenzial. Gutes Storytelling, das hochwertig produziert ist, das reißt die Leute mit. Das merkt man auch an der Durchhörrate. Ähnlich wie bei True Crime, bleiben die Leute dabei. Auf der anderen Seite ist Fiktion wahnsinnig teuer zu produzieren im Vergleich zu Talk-Formaten und eignet sich nicht für werbegetriebene Geschäftsmodelle. Man kann es versuchen und man findet immer wieder Möglichkeiten, das durch Sponsoring und solche Sachen zu monetarisieren. Aber ich muss dir nicht erklären, wie gut Formate mit Opinion Makers und Promis dahinter funktionieren. Man hat nicht den gleichen Effekt, wenn man Werbung ausspielt in Fiction-Podcasts. Generell ist es in meinen Augen für solche Formate wahnsinnig wichtig, dass es eben andere Möglichkeiten wie Paid-Plattformen gibt, die das wieder reinspielen können. Ich glaube, da wird sich noch einiges tun. Aber diese Formate werden sich dann auch auf andere Geschäftsmodelle fokussieren müssen.

Und dann noch das letzte Thema, das ein bisschen auf der Hand liegt: FYEO ist ja quasi begraben worden. Nicht als Marke, aber als App. Hat das bei euch irgendetwas ausgelöst oder seid ihr da ganz cool geblieben?

Nico: Ich glaube, es ist wahnsinnig kompliziert für eine Firma, die sich auf einen lokalen Markt konzentriert, eine Tech-Plattform zu bauen mit diesem wahnsinnigen Kosten und dann für diesen einen Markt so viele Inhalte zu produzieren. Das funktioniert nur, wenn man von Anfang an die Ambitionen und Möglichkeiten hat, solche Tech-Investments über viele Länder zu skalieren. Wenn wir zum Beispiel einen erfolgreichen Podcast haben, der sich übersetzen lässt, geht das in die verschiedenen anderen Länder, die dann übersetzen. Das reduziert unsere Content- und App-Entwicklungskosten. Oder wenn zum Beispiel bei unseren spanischen Kollegen etwas gut funktioniert, können wir das für Deutschland übernehmen. Ich glaube, das ist der einzige Weg, dass man da auf die absolute Masse geht und sich nicht auf ein Land fokussiert. FYEO hat wahrscheinlich auch gemerkt, dass man einen sehr langen Atem braucht, um so etwas aufzubauen. Deswegen hat es mich nicht wahnsinnig überrascht.

WE/R Das Verschwinden meiner Schwester Podcast Cover
Der Podcast »WE/R« erschien 2020 als Serie auf Social Media und wurde jetzt als Podcast von Podimo adaptiert. Die ersten vier Folgen gibt es kostenlos auf allen Plattformen, alle anderen der 19 Teile exklusiv auf Podimo. Er wurde produziert von The Stray Productions und erscheint jeden Montag und Donnerstag.

Übrigens war auch Jette Volland, Regisseurin und Produzentin von »WE/R«, bei uns im Interview und hat mit uns über die Herausforderungen eines Podcasts für die Generation Z gesprochen.

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Denise Fernholz

Schreibt für Podstars den Podcast-Newsletter MIXDOWN und versucht, möglichst viele Fotos ihrer Katzen Polly und Coco darin unterzubringen. (Klappt meistens.)

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