15.12.2022
Denise Fernholz

Wie sich ein True-Crime-Podcast auf die Suche nach dem Mörder von Frauke Liebs begibt

Foto von Dominik Stawski, Host des Podcasts »Frauke Liebs«

Fußball-WM 2006. Bis vor kurzem habe ich dabei immer zu erst an meinen 14. Geburtstag gedacht. An dem stand ich beim Public Viewing auf dem Hof der Gesamtschule in unserem Dorf und habe dabei zugesehen, wie Deutschland gegen Italien ausgeschieden ist. Jetzt denke ich bei der WM 2006 als erstes an einen Namen: Frauke Liebs. Als ich ihr Foto auf dem Cover des gleichnamigen Podcasts sehe, erinnere ich mich wieder an die Berichterstattung im Fernsehen, als sie damals verschwunden ist.

Bis heute ist der Fall Frauke Liebs einer der rätselhaftesten in der deutschen Kriminalgeschichte. Auf dem Weg vom Public Viewing in der Paderborner Innenstadt nach Hause verschwindet sie, wird mindestens eine Woche festgehalten und darf regelmäßig Lebenszeichen von ihrem Handy senden, sogar telefonieren. Doch dann herrscht Stille. Monate später findet man ihre Leiche in einem Wald. Und bis heute konnte die Polizei nicht klären, wer Frauke das angetan hat.

Der neuer Podcast »Frauke Liebs« von RTL+ macht sich nun auf »Die Suche nach dem Mörder«. Stern-Reporter und Host Dominik Stawski erzählt den kompletten Fall nach, spricht mit Fraukes Familie, den Ermittlern und Zeug*innen, darunter auch welche, die sich nie zuvor öffentlich geäußert haben. Ich habe alle 13 Folgen innerhalb weniger Tage gehört – so spannend ist diese Geschichte, von der ich dachte, ich würde sie schon kennen. Und weil mich der Podcast so dermaßen geflasht hat, musste ich natürlich mit Dominik Stawski darüber sprechen. Er hat mir erzählt, warum er im Podcast den Täter direkt anspricht, wie die Produktion seine Arbeit als Reporter beeinflusst und was die größte Herausforderung war.



Interview mit Dominik Stawski über den Podcast »Frauke Liebs«

Wie kam es dazu, dass du ausgerechnet bei diesem Fall gedacht hast, den möchte ich nochmal als Podcast erzählen?

Dominik: Ein Kollege hat mich vor vielen Jahren auf den Fall aufmerksam gemacht – und vom ersten Moment an bin ich daran hängengeblieben. Klar, weil der Fall rätselhaft ist, aber auch weil ich mich gleich gefragt habe, warum diese Tat überhaupt ungeklärt ist. Aus Tätersicht war das Ganze sehr kompliziert und riskant. Da hat jemand nicht schnell eine Frau ermordet und sich aus dem Staub gemacht, nein, der Täter hat Frauke entführt, und zwar mitten in der Stadt an einem Abend, an dem es in Paderborn wegen der WM voll war, er hat sie eine Woche lang gefangen gehalten, ist immer wieder mit ihr im Auto rumgefahren und erst dann hat er sie umgebracht. Ich habe durch meine Recherchen ein bisschen Erfahrung mit Kriminalfällen – und ich fand es gleich schwer zu fassen, dass dieser Fall ungeklärt ist. Damals habe ich darüber groß für »Stern Crime« in Textform berichtet.

Und von da an habe ich gesagt, das wäre ein Fall, den man eigentlich viel ausführlicher erzählen müsste. Aber es fehlte die Zeit und die Gelegenheit. Außerdem gab es eine Phase vor einigen Jahren, ungefähr zehn Jahre nach dem Mord, da hat Fraukes Mutter gesagt, sie will keine Interviews mehr geben. Aber wir sind in Kontakt geblieben. Und irgendwann konnte sie sich doch wieder vorstellen, darüber öffentlich zu reden. Vor zwei Jahren haben wir dann die ersten Gespräche mit RTL und Vox hinsichtlich einer TV-Umsetzung geführt, die letztes Jahr auch ausgestrahlt wurde. Das waren über 100 Minuten – ziemlich viel eigentlich, aber schon während der Produktion und erst recht als der Film fertig war, wurde mir klar, dass die Zeit nicht im Ansatz reicht, um den Fall komplett zu erzählen. Also haben wir es nochmal als Podcast für RTL+ gepitcht.

Für mich als Autor und Reporter sind Podcasts ein tolles Medium. Ich schreibe gerne lange Artikel, einmal habe ich im stern mehr als 50.000 Zeichen geschrieben, aber dann ist spätestens der Punkt erreicht, an dem jede Chefredaktion sagt: Es reicht.  Im Podcast gibt es keine Begrenzung. Die Skripte für die 13 Podcast-Folgen jetzt würden mehr als ein Buch ergeben.

Ingrid Liebs, Mutter von Frauke. © Marcus Simaitis
Ingrid Liebs, Mutter von Frauke. © Marcus Simaitis

Das ist krass. Ich könnte mir nicht vorstellen, ein ganzes Buch über den Fall zu lesen, aber den Podcast habe ich in zwei Tagen weggebinged.

Dominik: Bei Audio hilft diese Atmosphäre, die man erschaffen kann. Man kann die Menschen hören. Man weiß, wer diese Zeugen und Beteiligten sind und was sie erlebt haben. Und wenn man sie dann im Ohr hat, macht das was mit einem. Natürlich kann ein Zitat auf Papier gedruckt, einen auch stocken lassen, aber es hat nicht diese Kraft. Klar, funktioniert das auch bei Video, aber das Fokussieren auf den Ton ist schon sehr, sehr intensiv. Für mich haben alle Medien ihre eigenen Stärken, darin sehe auch die besondere Chance für die großen Redaktionen. Wenn sie den richtigen Stoff haben, die richtige Recherche, dann können sie alle unterschiedlichen Kanäle bespielen, sie müssen sich eben nur überlegen, wie. Ich glaube, in dem Bereich wird noch viel passieren. Auch für mich war das bestimmt nicht das letzte Projekt, bei dem ich so gearbeitet habe.

Warum hast du dich entschieden, im Podcast direkt den Täter anzusprechen? Das ist ja schon sehr außergewöhnlich.

Dominik: Vor ungefähr einem Jahr habe ich einen Artikel geschrieben, der begann mit den Worten: »Vielleicht liest diese Zeilen der Mensch, der vor 15 Jahren Frauke Liebs ermordete.« Damals kam mir der Gedanke, dass es auch möglich wäre, ihn direkt anzusprechen. Von anderen Kriminalfällen weiß man, dass viele Täter die Berichterstattung um ihre Tat sehr genau verfolgen. In Fraukes Fall weiß man, dass er in der Woche, in der er Frauke festgehalten hat, offenbar die Medien sehr genau beobachtet hat, weil er darauf reagiert hat, indem er Frauke zum Beispiel für ihre Anrufe an andere Orte fuhr, um so abzulenken. Da ist mir dann irgendwann die Idee gekommen, warum nicht so weit gehen und ihn direkt ansprechen? Als Autor ist das natürlich etwas, was ich in einem anderen Artikel nie machen würde. Aber in diesem Podcast halte ich es für angemessen.

Was würdest du sagen, wie sollte man mit so einem sensiblen Thema umgehen, wenn man einen Podcast darüber macht?

Dominik: Bei solchen Themen ist immer Transparenz und eine offene Arbeitsweise gegenüber den Beteiligten wichtig. Fraukes Familie und ihre Freundinnen und Freunde sind ja keine Medienprofis. Wenn ich sie stunden-, teils tagelang interviewe, erwarte ich sehr viel von ihnen. Man darf die Leute deswegen nicht überfallen, sondern muss ihnen ganz klar schildern, was die Zusammenarbeit an Zeit und Intensität voraussetzt. Fraukes Mutter hat oft gesagt, wenn ich da war, brauchte sie danach abends nichts mehr zu machen, sie war danach fertig. An den Tagen danach hallte es auch immer nach. So ging es auch den anderen. Aber sie wussten, worauf sie sich einlassen – das war sehr wichtig. Und es braucht Vertrauen. Wenn ich in 2015, als ich das erste Mal über die Sache berichtet habe, gesagt hätte, wir machen jetzt einen 13-teiligen Podcast, hätten sie das mit Sicherheit nicht gemacht.

Wie kann man sich die Produktion an einer Folge vorstellen?

Dominik: Die erste Folge hat natürlich am längsten gedauert, weil sie den Ton und die Herangehensweise setzt. Mit dem Skript zur ersten Folge habe ich im März begonnen. Vor allem Miriam Arndts, eine Freelancerin, hat mir Feedback zu den Skripten gegeben. Sie hat viel Radio- und Podcast-Erfahrung, für mich war es das erste große Podcast-Projekt. Das ganze Team war eine wichtige Hilfe: Ivy Haase, mit der ich viele Tage im Studio saß; Andolin Sonnen, der das Sounddesign übernommen hat; Paul Eisenach, der die Musik produziert hat. Und noch einige Leute mehr, die im Hintergrund geholfen haben. Wir haben uns als Team Stück für Stück eingespielt. Für die erste Folge haben wir zwei, drei Durchläufe gebraucht. Erst wenn man es hört, merkt man, was funktioniert und was nicht. Aber mit der Zeit wurden wir routinierter, die Feedback-Schleifen und die Aufnahmezeiten wurden immer kürzer.

Fundort der Leiche in einem Waldstück an der Landstraße L817 in Paderborn am 11.09.2015. © Marcus Simaitis
Fundort der Leiche in einem Waldstück an der Landstraße L817 in Paderborn am 11.09.2015. © Marcus Simaitis

Hattest du die Skripte alle schon fertig, als ihr angefangen habt?

Dominik: Ich hatte für mich schon im Januar die Geschichte grob skizziert – mit der größten Mindmap, die ich je erstellt habe. Ich habe dafür das Programm Miro benutzt, dort habe ich meine Dramaturgie entwickelt: Was kommt in welche Folge? Welche Ober- und Unterthemen gibt es? Welche Person findet in welcher Folge statt? Welche Audio-Ebenen habe ich? Was sind die Cliffhanger? Ungefähr bis Folge 9 konnte ich grob im Voraus planen. Ein paar Dinge in den hinteren Folgen haben sich erst im Laufe des Jahres ergeben, aber das Schreiben, Recherchieren und Produzieren ist alles sehr verschränkt abgelaufen.

Voll spannend zu sehen, wie andere Leute arbeiten. Ich kannte Miro, aber ich wusste nicht, dass man damit auch Outlines entwickelt kann.

Dominik: Da hat jeder seine eigenen Vorlieben. Es gibt bestimmt auch viele, die machen das mit Zetteln an der Wand. Als Autor war ich es schon gewöhnt, mir die Dramaturgie einer Geschichte zu überlegen, aber das serielle Erzählen über 13 Folgen war eine neue Erfahrung für mich. Und da hat geholfen, dass solch ein Miro-Board praktisch unbegrenzt ist. Die Wand hinter meinem Schreibtisch hätte nicht gereicht.

Was würdest du sagen, war für dich die größte Herausforderung an der ganzen Produktion?

Dominik: Sie zu beenden, alles inhaltlich zum Abschluss zu bringen und sich nicht zu verzetteln. Wenn man alles überschlägt, hatte ich knapp 100 Stunden Tonaufnahmen. Allein das zu sortieren, eine Art Datenbank zu erstellen und zu verwalten, war sehr viel Arbeit. In den Skripten stand dann genau, in welchem Track bei welcher Minute und welcher Sekunde der O-Ton zu finden ist. Die praktischen Tätigkeiten, wie die Aufnahmen dazwischen, waren immer wieder erholsam. Aber das Schreiben der Geschichte ist gewissermaßen das Schmerzhafteste von allem gewesen.

Zum Schluss wird es ja nochmal richtig spannend, weil wieder Ermittlungen aufgenommen wurden. Da hab ich mir vorgestellt, wie schwierig das sein muss zu sagen: Jetzt ist Redaktionsschluss, wir können nicht noch länger warten, bis sich da noch was entwickelt.

Dominik: Es gab sogar eine Phase, als der Fall wieder Fahrt aufgenommen hat, da standen wir vor der Frage: Müssen wir vorziehen und nächste Woche rauskommen? Das hat sich dann wieder zerschlagen. Aber ich bin im Grunde ganz froh, dass der Podcast diese Aktualität bekommen hat. Und das ist ja auch die Stärke von Podcasts, diese Realtime-Recherche, also das Gefühl, ich bin als Hörer wirklich dabei und schaue demjenigen beim Arbeiten zu. Für das Publikum ist das eine zusätzliche Ebene. Welches Medium macht die Recherche und die Arbeitsbedingungen eines Journalisten schon so transparent?

Noch ein Vorteil von Podcast ist ja, dass die Leute ihn jetzt abonniert haben. Das heißt, wenn es Neuigkeiten gibt, kriegen sie automatisch eine neue Folge.

Dominik: Genau. Wir standen bei unserem Podcast vor der Ausgangsfrage: Wie viele Folgen kann man zu einem Fall machen? Am Anfang, als ich noch mit zehn Folgen geplant hatte, haben ein paar Kolleginnen und Kollegen mich unsicher angeschaut, ob ich das ernst meine, 10 Folgen zu einem Fall. Schlussendlich sind es 13 geworden – und das Feedback  der Leute ist durchweg positiv. Ich glaube, das zeigt auch, dass sich die Nutzungsgewohnheiten des Publikums verändert haben. Die Bereitschaft, sich mit einer Geschichte so richtig tief zu beschäftigen, ist größer geworden.

Viele unserer Hörerinnen und Hörer würden sich wahrscheinlich auch über eine 14. Folge freuen. Ich mich auch. Man kann es natürlich nicht vorhersagen, aber wenn es neue Dinge zu berichten gibt, dann werden wir das tun. Wir kriegen jetzt schon ganz viele Nachrichten mit Hinweisen, aber es ist natürlich viel Arbeit, das alles abzuarbeiten. Und ich kann jetzt noch gar nicht abschätzen, ob Hinweise dabei sind, die wirklich interessant sind.

Frauke Liebs Podcast Cover
Den kompletten Podcast »Frauke Liebs« gibt es zuerst kostenlos bei RTL+Musik. Auf allen anderen Plattformen erscheint jeden Dienstag eine neue Episode.

Denise Fernholz

Schreibt für Podstars den Podcast-Newsletter MIXDOWN und versucht, möglichst viele Fotos ihrer Katzen Polly und Coco darin unterzubringen. (Klappt meistens.)

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