11.08.2021
Denise Fernholz

Storydive will unsere Spaziergänge revolutionieren

Sophie Burger und Fabian Eck, Gründer:innen der Audiowalk-App Storydive

Ich bin gestern im strömenden Regen eine Stunde durch Hamburg spaziert. Und das freiwillig. Und ich hatte auch noch Spaß dabei. Das liegt ganz allein an Storydive.

Letzte Woche habe ich Sophie Burger und Fabian Eck, Gründer*innen von Storydive interviewt, einer App, die Spaziergänge mit einer Art interaktivem Hörspiel verbindet. Nach dem Gespräch war ich total angefixt und wollte die sogenannten Audiowalks selber ausprobieren, bevor das Interview online geht. Das beschissene August-Wetter konnte mich nicht davon abhalten. (Und als Hamburgerin habe ich sowieso immer einen Regenschirm dabei.)

Was einen Bewegungsmuffel wie mich vom Konzept überzeugt hat und wie es mir gefallen hat, das erfahrt ihr im Interview. (Und ganz am Ende gibt es nochmal ein kleines Fazit von meinem Audiowalk gestern.)

Interview mit Sophie Burger und Fabian Eck von Storydive 

Was ist das Konzept von Storydive?

Sophie: Wir haben unterschiedliche Arten von Audiowalks. Die meisten unserer Geschichten sind aktuell klassische Hör-Spaziergänge. Bei denen bewege ich mich entlang einer vorgegebenen Route. Die Weganweisungen sind Teil der Geschichte, die ich höre, also die Brücke, an der ich vorbeilaufe, kommt auch in der Geschichte vor. Technisch funktioniert das einfach über GPS-Autoplay. Das heißt, wenn ich bestimmte Bereiche betrete, werden neue Kapitel freigeschaltet.

Fabian: Die Laufgeschwindigkeit des Nutzers oder der Nutzerin wird mitberücksichtigt, sodass sich die Geschichte anpasst, wenn man zum Beispiel langsamer geht.

Das habe ich mich schon gefragt: ob man immer warten muss, bis man wieder einen neuen Punkt erreicht hat oder ob man durchgängig eine Geschichte hört.

Sophie: Man hört durchgängig eine Geschichte. Die Erzählzeit ist also genauso lang wie die Wegzeit. Klar, zwischendurch gibt es natürlich auch mal Puffer mit Geräuschen oder Ambiente-Sounds.

Fabian: Das wird genau so angepasst, dass sich die erzählte Geschichte immer auf die Umgebung bezieht.

Sophie: Das Wichtigste ist eigentlich: Man hat keine Stationen wie bei einem Audioguide, sondern wird wirklich beim Spaziergang begleitet.

Worum geht’s immer so in den Geschichten?

Sophie: Das ist wirklich unterschiedlich. Wir haben einige Krimis, in denen ich als Hörer*in zum Beispiel selber in einem Fall ermitteln muss. Wir haben aber auch Science-Fiction-Geschichten, einen Achtsamkeit-Spaziergang, eine Tinder-Story und eine Comedy-Zeitreise.

Fabian: Kindergeschichten kommen auch sehr gut an.

Wie lang sind denn die Strecken? Kann ich vorher bestimmen, dass ich eine halbe Stunde laufen möchte?

Sophie: Die Zeit ist immer mitangegeben. In der Regel dauern die Audiowalks so 30 bis 45 Minuten. Wir arbeiten gerade aber auch an einem anderen Format, das nur drei bis fünf Minuten lang ist. Das sind kurze Geschichten, die es unabhängig von der Route an bestimmten generischen Orten geben wird, also an Orten, die es in jeder Stadt gibt. Das können Bushaltestellen, Parkbänke, Mülleimer, Straßenlaternen oder Tankstellen sein. Insgesamt bringen wir 20 dieser kurzen Geschichten raus, die man dann auch in ganz Deutschland hören kann und die sich immer nur auf diesen einen Ort beziehen.

Fabian: Und sie beziehen sich auf eine Situation: Man wartet auf den Bus, man entspannt auf der Parkbank. Wir nutzen diese Situation, um Geschichten passend zu dieser Situation zu erzählen.

Sophie: Bei der Parkbank setzt sich zum Beispiel jemand neben mich und es entsteht so eine klassische Agenten-Geschichte.

Ich habe von dieser Geschichte mit der Regisseurin gelesen, in der man quasi Location-Scout ist. Da habe ich mich gefragt, wie das funktioniert, dass man so richtig interagiert?

Sophie: Das ist das dritte Format, an dem wir jetzt gerade noch arbeiten. Das wird im Herbst erscheinen. Bei dieser Art Geschichte muss ich als Hörer*in Entscheidungen treffen und so den Ausgang der Geschichte mitbestimmen. Ich treffe dort eine Regisseurin, die mir erzählt, dass sie einen Film drehen will und sie meine Hilfe bei den potenziellen Schauplätzen braucht. Sie sagt dann sowas wie: »Für diese Szene kann ich mir gut einen Brunnen vorstellen, an dem die beiden Protagonist*innen ihr erstes Date haben.« Und dann muss ich selbst überlegen, welcher Brunnen in meiner Nähe sich für ein erstes Date eignet. Die Geschichte mit der Regisseurin ist übrigens so geplant, dass sie nicht mehr entlang einer festen Route funktioniert, sondern sich die Zuhörerinnen und Zuhörer selbst die Route suchen.

Es gibt aber auch immer wieder Punkte, an denen der Nutzer oder die Nutzerin selbst entscheiden kann, geht man zur Bibliothek, wie die Regisseurin sagt, oder zum Café und schaut, wie die Geschichte dann weitergeht. Wenn ihr dann am Brunnen seid, trefft ihr da auf die Protagonist*innen und dann ist es so, als würde diese Szene an diesem Ort entstehen.

Ist das auch mit GPS verknüpft? Also wenn kein Brunnen in meiner Nähe wäre, dass es das erkennt und eher nach einer anderen Location fragt?

Fabian: Ja, dafür haben wir ein System. Wir zeigen die Geschichte nur in Arealen an, an denen alle Handlungsorte auch existieren: Brunnen, Bibliothek, Café, Friseur – all das muss in Laufweite verfügbar sein.

Sophie: Die Geschichte hat feste Startpunkte, die wir so festlegen, dass alle Schauplätze in Laufweite liegen. So wissen die Hörer*innen, wo sie in die Geschichte einsteigen können. In Hamburg gibt es zum Beispiel über 330 mögliche Startpunkte.

Und wo bekommt ihr die Geschichten her? Ich hatte geguckt, in Hamburg gibt’s eine in Altona. Zufällig wohne ich auch in Altona und war dann natürlich total begeistert, dass ich das mal ausprobieren kann. Kommt die Geschichte aus eurer Redaktion? Oder kann man einfach seine Geschichten einsenden?

Sophie: Die Geschichte ist im Rahmen von einem Ideenwettbewerb entstanden, als wir die App gerade erst gestartet hatten. Wir wollten mit Autorinnen und Autoren zusammenarbeiten, die Lust haben, sich auf so ein neues Format einzulassen und dafür zu schreiben. Seither arbeiten wir teilweise immer noch mit den gleichen Autor*innen zusammen, auch für Auftragsarbeiten. Zum Teil arbeiten wir aber auch mit Theatern und anderen Autor*innen-Kollektiven. Mit den Berlin Authors zum Beispiel setzen wir jetzt das nächste Projekt um, die kurzen Audiowalks. Wir arbeiten aber auch selbst weiterhin am Storytelling. Den Audiowalk mit der Regisseurin, »Jim & Gina« wird der heißen, den schreib ich aktuell, weil wir da auch einfach noch testen müssen, wie funktioniert es, dass die Hörerinnen und Hörer geleitet werden? Das werden wir vor Veröffentlichung natürlich noch mit Beta-Tester*innen testen und mit dem Fraunhofer Institut zusammenarbeiten, um herauszufinden: Was braucht eine Geschichte, damit es richtig spannend ist?

Fabian: Wir achten sehr auf Qualität bei der Produktion, das heißt, jede Geschichte ist von Sprechern oder Sprecherinnen eingesprochen und hat eine professionelle Postproduktion durchlaufen. Das macht die Produktion momentan auch relativ aufwendig, sodass wir jetzt mit Auftraggebern zusammenarbeiten oder mit städtischen Fördersystemen. Das heißt, wenn jemand eine Geschichte einbringen möchte, würde es erst mal darum gehen, eine Finanzierung für die Produktion zu finden. Denn In-App-Käufe – also dass Nutzerinnen und Nutzer Geschichten kaufen können – sind jetzt gerade in Arbeit und kommen erst in ungefähr einem Monat.

Dann wählt ihr die Städte, in denen eure Audiowalks verfügbar sind, danach aus, wo eine Finanzierung zustande kommt? Neben den Großstädten bietet ihr ja auch Audiowalks in Städten an, bei denen ich dachte: »Wie kommt man gerade auf diese Stadt?«

Sophie: Genau, also für den Ideenwettbewerb haben wir versucht, Städte in unterschiedlichen Lagen und Größen abzudecken und dann lag es natürlich vor allem daran, aus welchen Städten die besten Einreichungen kamen. Unsere Erfahrungen mit Kleinstädten sind sehr gut, da sich dort so etwas viel schneller herumspricht als in einer Stadt wie Berlin oder Hamburg, wo das Angebot an Freizeitaktivitäten einfach viel größer ist. Aktuell ergibt es sich aber hauptsächlich dadurch, wo wir Aufträge bekommen.

Im Moment finanziert ihr ja noch viel durch Förderung. Aber wie soll sich auf lange Sicht die App finanzieren? Ich hatte gelesen, dass ihr zum Beispiel Verlagen oder Radiosendern anbieten wollt, dass diese die Audiowalks als Marketing-Kanal nutzen können.

Fabian: Mit dem Radiosender Radio Gong in München haben wir jetzt schon ganz erfolgreiche Projekte. Für Zeitungen wäre es natürlich auch interessant, um ihren Abo-Kund*innen zusätzliche Inhalte zu bieten. Oder überhaupt für Verlage, die Leuten ermöglichen wollen, auf eine andere Art und Weise in Geschichten einzutauchen.

Sophie: Man könnte auch bestehende Bücher nehmen und das Universum um einen Audiowalk erweitern. Sodass die Hörerinnen und Hörer in jeder Stadt mit der Hauptfigur Abenteuer erleben können.

Wie kann ich mir so eine Kooperation mit einem Radiosender vorstellen? Teasern die in ihren Radiosendungen an, dass es bei Storydive eine exklusive Geschichte gibt oder wird der Radiosender in die Geschichte integriert?

Sophie: Genau, die machen das zu einem Teil von ihrem Programm und teasern die Geschichte im Radio an. In der ersten Geschichte, die wir umgesetzt haben, hat der Radiosender tatsächlich auch eine Rolle gespielt. Da wurde ein Moderator entführt und die zwei Moderatoren von der Morning-Show haben sich dann quasi auf die Suche nach ihm gemacht. Die Hörerinnen und Hörer konnten sich ihnen anschließen und dabei helfen.

Man hört im Moment immer wieder was über context-specific Audio Storytelling, also dass das Storytelling an den Kontext beim Hören angepasst wird. Apple hat »Time to Walk« und es gibt immer mal wieder Podcasts, die sich an Denkmälern oder sowas orientieren. Wo seht ihr noch Potenzial für diese Art des Erzählens?

Sophie: Eigentlich überall. (lacht) Immer mehr Leute konsumieren gerne Audio-Inhalte – aber meistens nur nebenbei beim Bügeln, Kochen oder Autofahren. Die Frage ist: Für wie viele Leute bleibt es spannend, wenn das Hören zur Hauptbeschäftigung wird? Es gibt natürlich Situationen, in denen meist sowieso schon Audio benutzt wird, wie zum Beispiel beim Warten an der Haltestelle. Aber auch geführte Spaziergänge wie unser Achtsamkeits-Walk könnten noch sehr spannend werden. Ähnlich wie bei einer Meditation.

Fabian: Du hast ja gerade schon Podcasts angesprochen, die man dann vor einem Denkmal anhören soll. Solche Formate werden oft zur Wissensvermittlung genutzt. Aber das Potenzial, die Fantasie der Hörer*innen anzusprechen und unterhaltende Geschichten zu erzählen, wird noch längst nicht ausgeschöpft.

Glaubt ihr, dass in Zukunft auch noch sowas wie Sprachsteuerung dazukommen wird? Mittlerweile haben ja viele einen Smartspeaker zu Hause oder Siri im Smartphone.

Fabian: Momentan klingen Sprachsteuerungen ja noch sehr blechern. Das kann für Science-Fiction-Geschichten schon gut funktionieren – aber wirklich spannend wird es erst, wenn ein wirklicher Dialog über die konkrete Informationsvermittlung hinaus mit der Maschine möglich wird. Aber das dauert noch ein bisschen.

Sophie: Das Ziel bei unseren Geschichten ist es, dass das Smartphone in der Hosentasche bleiben kann. Indem die Tracks automatisch auslösen oder die Weganweisungen schon in der Geschichte integriert sind. Und auch Entscheidungen, die man in den Geschichten treffen kann, werden bei uns über Bewegungen getroffen – also in welche Richtung ich gehe.  Das heißt, wir machen uns jetzt schon viele Gedanken darüber, wie wir es vermeiden, dass unsere Hörer*innen mit dem Display interagieren müssen. Sprachsteuerung könnte da eine weitere Möglichkeit sein.

Meine Erfahrung mit Storydive:

Als ich gesehen hatte, dass es einen Audiowalk in meiner Hood Altona​ gibt, habe ich mich total gefreut. Ich war aber auch ein bisschen skeptisch. Schließlich habe ich während meiner Lockdown-Spaziergänge gefühlt alles gesehen, was es zu sehen gibt. Tja, falsch gedacht. Ich war gestern in Straßen unterwegs, von denen ich noch nie gehört hatte – und habe mich nochmal ein bisschen mehr in Hamburg verliebt. In der Geschichte folgt man einer namenlosen Person durch das Viertel, in dem sie als Kind aufgewachsen ist. An jeder Ecke gibt es kleine Anekdoten oder Geschichten zu dem, was man gerade sieht. Ich habe echt noch was dazu gelernt. Und zwischendurch gibt es immer wieder poetische Momente, als würde die Person ein Gedicht vortragen. Das mag zu Beginn etwas irritieren, wirkt ganz am Ende des Spaziergangs aber fast episch. Vor allem gepaart mit dem Ort, an dem man sich dann befindet.

Ich musste mich allerdings erst daran gewöhnen, dass die Weganweisungen nicht so stumpf und eindeutig wie bei Google Maps sind. Sie sind eher subtil in die Geschichte eingebaut. Am Anfang habe ich ständig auf die Karte in der App geguckt, ob ich noch richtig bin. Manchmal bin ich zu schnell gelaufen oder zu weit. Ab der Hälfte der Strecke konnte ich mich aber richtig auf das Erlebnis einlassen. Dieses Gefühl, an einer Art Abenteuer teilzunehmen, von der die anderen Menschen um mich herum nichts ahnen, ist ziemlich cool. Sogar im strömenden Regen.

Storydrive Player Smartphone
Storydive gibt es kostenlos für Android und iOS. Ich habe den Audiowalk »Altopien« ausprobiert.

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Denise Fernholz

Schreibt für Podstars den Podcast-Newsletter MIXDOWN und versucht, möglichst viele Fotos ihrer Katzen Polly und Coco darin unterzubringen. (Klappt meistens.)

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