06.09.2021
Tim Sohr

Sind Podcasts das Newsmedium der Zukunft?

Podcasts für News

Es ist nur eine kleine Branchennachricht, ein paar Tage alt, aber sie klingt wie eine Blaupause: »Der ›Kölner Stadt-Anzeiger‹ startet einen Nachrichten-Podcast über Köln. Der zehnminütige ›Stadt mit K – News für Köln‹ erscheint ab sofort täglich jeden Nachmittag und fasst Neuigkeiten aus Köln und der Umgebung zusammen.«

Damit ist der »Kölner Stadt-Anzeiger« alles andere als allein. Nachdem sich in den vergangenen Monaten und Jahren die überregionalen Leitmedien bereits mit unterschiedlichen Nachrichtenformaten auf dem Markt positioniert haben, ziehen nun auch die lokalen Zeitungen nach.

Keine Frage, für die (tagesaktuellen) Informationsmedien gilt längst: Einen Podcast muss man sich leisten können, aber die Betonung liegt auf »muss«.

Nachrichten-Podcasts als »seltener Lichtblick für den Informationsjournalismus«

Nic Newman und Nathan Gallo analysierten für das Reuters Institut der Universität Oxford bereits Ende des Jahres 2019 das Potenzial von Nachrichten-Podcasts. Dafür führten sie Interviews mit Fachleuten aus der Produktions-, Werbe- und Podcast-Branche, mit Verantwortlichen von Google und Spotify, von Medienhäusern. Kategorisiert wurden für die Studie 60 Nachrichten-Podcasts in den USA, Großbritannien, Australien, Frankreich und Schweden – von »Microbulletins« zwischen einer und fünf Minuten Länge bis zu monothematischen Hintergrundformaten.

Als Fazit bezeichnete Newman das News-Podcasting als seltenen Lichtblick für den Informationsjournalismus. »Bessere technische Bedingungen machen ein größeres Publikum erreichbar«, schrieb Marlis Prinzing dazu für den »Tagesspiegel«, »und motivieren Medienhäuser, in die Schaffung von mehr Qualitätsinhalten zu investieren.«

Seitdem hat die Entwicklung weiter Fahrt aufgenommen, der Lichtblick strahlt rein quantitativ nur noch heller. Sind Podcasts also anno 2021 quasi zwangsläufig das Newsmedium der Zukunft?

Zunächst einmal können sie ein vergleichsweise neuer, aber umso stärkerer Treiber des täglichen Informations-»Lärms« sein. Ist damit also die Art von Lärm – sprich: »Noise« – gemeint, dem Khesrau Behroz zusammen mit Patrick Stegemann gerade einen ganzen Podcast widmet? »Wir starten mit ›Noise‹ jetzt vor der Bundestagswahl, weil der Lärm gerade besonders laut ist«, sagt Behroz.

Dabei gilt es aber, zwischen zwei Arten von »Noise« zu unterscheiden: »Den alltäglichen Lärm gibt es in einer Demokratie immer, weil alle mitreden wollen, und das ist auch gut so«, so der »Cui Bono«-Macher. »Manchmal wird es auch zu laut, sodass man sich nicht mehr so richtig hört, aber das ist normal.«

Und dann gibt es noch den zusätzlichen Lärm, der aus Irreführung besteht, aus Desinformation, aus Falschinformation, aus »negative campaigning« – Lärm, der allerdings nur dazu dient, die ohnehin schon geteilte Gesellschaft nur noch weiter zu spalten: »Damit beschäftigen wir uns in ›Noise‹ – und dieser negative Effekt ist so kurz vor der Bundestagswahl natürlich besonders gefährlich.«

Denn für Podcasts gilt, was auch für andere Informationsmedien gilt, erst recht, wenn ihre Masse kaum noch überschaubar ist: Sie können missbraucht werden. In einer Analyse des »Guardian« unter dem Titel »Düstere Geräusche: Podcasts entwickeln sich zum neuen Medium der Fehlinformationen« heißt es: »Während Alt-Right-Figuren von Facebook und Twitter zunehmend verjagt werden, entwickelt sich Podcasting zur nächsten Arena, in der ein Kampf über fragwürdige oder gefährliche Inhalte ausgefochten wird.«

Eine Frage von Emotion und Einordnung

Die Problematik ist in den USA aufgrund des größeren, aber eben auch verwinkelteren Marktes aktuell größer als in Deutschland – nicht zuletzt aufgrund populärer Formate wie »Bannon’s War Room« des früheren Beraters von Donald Trump, Steve Bannon. Aber häufig bedeutet der Blick auf die US-Branche quasi die Vorschau auf Zustände, die uns früher oder später auch in Deutschland erwarten könnten. Was, ganz nebenbei, nicht immer schlecht sein muss: Schließlich beschäftigt der Vorzeige-Podcast der »New York Times«, »The Daily« rund 15 feste Redakteur:innen, die sich ausschließlich um die tägliche Show kümmern. Zum Vergleich: Am »Podcast für Deutschland« der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« (»F.A.Z.«) arbeiten sieben festangestellte Redakteur:innen.

Die große Ausgangsfrage, die für Podcasts als sehr persönliches Medium fast noch sensibler ist als für die Print- oder Online-Berichterstattung, lautet: Wie vermittle ich Information? Denn klar ist: »Sobald du eine Nachricht mit einer Emotion verbinden kannst, packt sie dich mehr«, sagt Khesrau Behroz. »Das ist natürlich einfacher, als nur eine nüchterne Information rauszugeben, die zunächst auch nicht eingeordnet ist.« Emotion bedeute ja auch immer Einordnung.

Die Frage ist für die Podcast-Philopsophie der etablierten Qualitätsmedien dabei noch einmal von hervorgehobener Bedeutung im Vergleich zur kleineren Konkurrenz, schließlich haben sie im alltäglichen Lärm und zwischen immer schneller aufgeworfener Fake-News-Verdachtsfälle bereits einen Ruf zu verlieren. Wie geht man da an die Konzeption heran?

Andreas Krobok ist Audio-Chef der »F.A.Z.« und Host des »Podcast für Deutschland«, dessen Entwicklung einst so begann: »Wir haben zunächst nach einem einzigen Wort gesucht: Was soll unser Podcast sein?« Nach einigen Wochen intensiver Diskussion sei man bei dem Begriff »Erkenntnis« gelandet: »Erkenntnis, das ist ›F.A.Z.‹«, so Krobok. »Wir wollen nicht zwingend schneller als die anderen sein, wir wollen auch nicht den Radiosendern Konkurrenz machen, sondern wir wollen ein großes Thema.«

Dafür nimmt sich der »Podcast für Deutschland« im Vergleich zur täglichen Konkurrenz deutlich mehr Zeit, zwischen 25 und 35 Minuten, inklusive zwei, drei, vier Gesprächen: »Ein bisschen magazin-ig, ein bisschen Seite eins zum Hören, aber monothematisch – sodass der Hörer am Ende mit Erkenntnis aus der Folge rausgeht.«

»Wir haben eine Durchhörquote von 92 Prozent«

Die Reaktionen und die Hörer:innenzahlen geben diesem Ansatz recht, wie Krobok mit einer Statistik untermauert: »Wir haben eine Durchhörquote von 92 Prozent. Der schwächste Wert, den wir je hatten, waren 89 Prozent. Die Leute hören das wirklich bis zur Abmoderation.«

Aber wie funktioniert im Podcast einer meinungsstarken Zeitung wie der »F.A.Z.« eigentlich die Einordnung, wieviel Emotion kann sich ein »Podcast für Deutschland« leisten? »Klar, wenn sie ihren Hunter S. Thompson gelesen haben, wissen sie auch: Es gibt keine Objektivität«, sagt Krobok. »Aber wir versuchen zumindest in der Moderation so objektiv wie möglich zu sein – da kommt wirklich keine Meinung rein.«

Die lasse Krobok sich dann lieber von seinen Gesprächspartner:innen erzählen: »Ich bin da eher zurückhaltend und frage lieber dreimal ganz doof, um in die richtige Spur zu kommen.«

Gerade für die »F.A.Z.« und vergleichbare Medien – mit Sabine Rückert von »ZEIT Verbrechen« hat »DIE ZEIT« zum Beispiel längst einen deutschlandweit bekannten Podcast-Star in ihren Reihen – spielt aber noch ein anderer wichtiger Faktor im Audiobereich eine Rolle: Personality.

»Wir bekommen regelmäßig Mails von unseren Hörern, die ganz erstaunt sind: Mensch, eure Redakteur:innen sind ja ganz normale Menschen, die haben ja sogar Humor«, sagt Krobok und lacht. »Die dachten offenbar, bei uns arbeiten nur Roboter oder Maschinen, in kalter Atmosphäre hinter Frakturschrift versteckt.«

Was für die »F.A.Z.« ein willkommener Nebeneffekt ist, der die altehrwürdige Marke nahbarer macht, bedeutet für andere regelmäßige Newsformate unterschiedlicher Tonart eher den USP: So hat zum Beispiel Micky Beisenherz mit »Apokalypse & Filterkaffee« auf geradezu furiose Weise die Lücke der launigen Einordnung belegt, die von ihm persönlich, aber auch von der illustren Gästeschar, die sich aus dem umfassenden Netzwerk des Hosts speist, übernommen wird. Gerade erst ist ihm damit ein besonderer Coup gelungen: Annalena Baerbock, Kanzlerkandidatin der Grünen, war bei »ApoFika« zu Gast.

»Auch heute blicken wir ein bisschen auf die Schlagzeilen und Meldungen des Tages – was ist wichtig, was ist von Gesprächswert, worüber lohnt es sich zu reden?«, heißt es bei Beisenherz zu Beginn jeder Folge seines sogenannten »News-Omelettes«, und diese Philosophie – die fast wie ein Mantra für jegliche Nachrichtenpodcasts daherkommt – beschert ihm inzwischen dauerhaft einen vorderen Platz in den Podcast-Charts. Zumindest bei Formaten, die in erster Linie über den Host funktionieren, gehört Beisenherz damit in Deutschland zu den Vorreiter:innen, wenn auch nicht zu den Erfinder:innen: »Gabor Steingart war der Erste mit seinem ›Morning Briefing‹«, erinnert sich Andreas Krobok. »Das war natürlich eine Sensation und sehr, sehr gut gemacht.«

Der ständige Kampf um die Aufmerksamkeit der Menschen

Inzwischen haben sie alle nachgezogen: die bereits ausführlich erwähnte »F.A.Z.« mit ihrem »Podcast für Deutschland« (für den inzwischen auch ein morgendlicher Ableger in Planung ist, wie Krobok verrät: »ein Update, fünf bis acht Minuten«); die »Süddeutsche Zeitung« will mit »Auf den Punkt« gar »in 10 Minuten den Tag verstehen«; bei der »ZEIT« werden morgens um 6 und nachmittags um 17 Uhr in »Was jetzt?« die Themen des Tages besprochen; der »stern« möchte mit »heute wichtig« abdecken, was heute wichtig ist; und die Liste ist beliebig fortzuführen. Dass viele dieser Shows sich konzeptionell an internationalen Vorbildern wie »The Daily« oder auch dem »Global News Podcast« der BBC orientieren, ist nicht zu überhören, wird aber von den meisten Macher:innen auch gar nicht bestritten.

»Das Podcast-Ding ist groß, wird immer größer«, sagt Andreas Krobok, »und es wird bleiben.« Was uns zur Ausgangsfrage zurückbringt: Sind Podcasts das Newsmedium der Zukunft?

»Klar, du kannst die Routinen der Leute so ein bisschen verändern«, bemerkt Khesrau Behroz: »Wer früher die Tageszeitung gelesen hat, begeistert sich vielleicht irgendwann für einen Podcast am Morgen, weil er diese Routine spannender oder schöner findet.«

Es sei eben ein ständiger Kampf um die Aufmerksamkeit der Menschen, so Behroz: »ob das eine Videospielfirma ist, ein Nachrichtenunternehmen oder so ein Unternehmen wie wir mit unserer Produktionsfirma ›Undone‹.« 

Und über welche Plattformen werden wir uns in ein paar Jahren informieren? »Who knows?«, sagt Behroz. »Das ändert sich ja gerade quasi im 5-Jahres-Takt, das ist alles immer in Bewegung, und das ist auch die große Herausforderung für die Medienunternehmen. Denn die Veränderungen passieren immer schneller und in immer kürzeren Abschnitten als früher.«

Also könnten Podcasts irgendwann möglicherweise sogar die gute, alte Tageszeitung ersetzen?

»Natürlich nicht«, antwortet Andreas Krobok auf die zugegebenermaßen provokante Frage, »das wissen Sie doch selber: Es gibt verschiedene Rezeptionsverhalten. Ist doch klar: Es wird immer Leute geben, die lieber etwas lesen. Es wird immer Leute geben, die lieber etwas gucken. Und es wird immer Leute geben, die lieber etwas hören.«

Trotzdem fällt bei dieser Aufzählung aber etwas auf, oder?! »Da gebe ich Ihnen recht«, sagt Krobok: »Der Anteil der Leute, die etwas hören, wird größer und immer größer.«

Tim Sohr

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