02.12.2022
Denise Fernholz

»Flüsterwelt«: Wie schreibt man einen Fiction-Podcast, der nie zu Ende geht?

Foto von Gregor Schmalzried, Autor des Podcasts »Flüsterwelt«

Es kommt nicht oft vor, dass ich bei neuen Podcasts denke: Wow, was für ein Konzept! Aber als mir Gregor Schmalzried das erste Mal von seiner Idee zu »Flüsterwelt« erzählt hat, habe ich genau das gedacht. Ich klinge vielleicht etwas voreingenommen, weil Podstars den Podcast jetzt – ein Jahr später – mit ihm produziert hat. Aber ganz objektiv betrachtet ist das Konzept auch einfach innovativ: Ein Fiction-Podcast, der – ähnlich wie eine Soap – niemals endet, und die Story mit Elemente des Genres Laber-Podcasts verbindet.

Aber klären wir erstmal, worum es geht: Hanna ist 28, erfolgreich, einsam und überfordert. Und sie hütet ein Geheimnis: Hanna ist nie allein. Seit Jahren wird sie begleitet von Sam – einem Wesen in ihrem Kopf, das niemand außer ihr hören kann. Egal ob Hanna als Psychologin Verbrecher befragt oder versucht, private Kontakte zu knüpfen – immer ist Sam in ihrem Kopf. Als Hanna plötzlich eine unheimliche Nachricht erreicht, entscheidet sie sich endlich, nach der Wahrheit zu suchen. Wer ist Sam wirklich? Was hat er vor? Und wohin führt die Spur der Flüsterwelt?

Im Interview hat mir Gregor Schmalzried, der den Podcast konzipiert und geschrieben hat, erzählt, wie so ein nie endender Podcast funktioniert, was man beim Skript dafür beachten muss und wie wichtig der Pilot für ein Fiction-Format ist.



Interview mit Gregor Schmalzried über »Flüsterwelt«

Wie bist du auf die Idee zum Podcast gekommen?

Gregor: Ich fand die Vorstellung wahnsinnig spannend, eine Art Hörspiel/Hörbuch mit zwei Erzähler*innen zu machen. Also das, was wir aus den klassischen Laber-Podcasts kennen, wo sich zwei Leute unterhalten und sie über das sprechen, was ihnen passiert ist. Warum kann man so eine Konstellation nicht auch haben, während etwas passiert? Also zwei Leuten dabei zuhören, wie sie sich durch ein spannendes Abenteuer manövrieren. Aus diesem Konzept ist »Flüsterwelt« entstanden. Der Gedanke: Die Hauptfigur redet die gesamte Zeit mit ihrem unsichtbaren Freund, der bei ihr im Kopf sitzt und alles kommentiert. Eine Art Live-Podcast für die Handlung, die die beiden erleben.

Woran hast du beim Drehbuch schreiben gemerkt, dass es eine gute Zeit ist, den Piloten aufzunehmen?

Gregor: Das war viel Trial and Error. Die gesamte Produktionsphase war wahnsinnig lang, weil wir sehr viel ausprobiert haben. Wir haben irgendwann gemerkt, dass es Sinn macht, einfach mal eine Version der Geschichte aufzunehmen, um zu schauen, ob das alles überhaupt zusammen auf einer Klangebene funktioniert. Deswegen haben wir den Piloten relativ schnell produziert und dann die Story um das entwickelt, was im Piloten funktioniert hat.

»Der Gedanke: Die Hauptfigur redet die gesamte Zeit mit ihrem unsichtbaren Freund, der bei ihr im Kopf sitzt und alles kommentiert. Eine Art Live-Podcast für die Handlung, die die beiden erleben.«

Welche Learnings habt ihr aus den Piloten mitgenommen, die jetzt in die erste Folge eingeflossen sind?

Gregor: Ich glaube, unsere Figuren sind sehr viel cooler geworden. Vor allem die Hauptfigur Hanna war in der Pilotfolge noch etwas undefiniert. Da hat es geholfen, sie einfach mal zu hören. Wenn man als Autor die Figur tatsächlich sprechen hört, versteht man sie sehr viel besser. Die Hanna, die wir jetzt in der fertigen Serie hören, ist eine ganz andere Hanna als die, die in der Pilotfolge aufgetreten ist.

Und woher wusstest du, dass der Punkt erreicht ist, an dem die Geschichte jetzt gut ist?

Gregor: Den Punkt erreicht man nie. Man muss aber einfach irgendwann aufnehmen. Das ist ein bisschen wie eine Wohnungseinrichtung: Man kann noch so zufrieden sein, aber wenn man lange genug drüber nachdenkt, gibt es immer irgendwas, das man anders machen möchte. Das ist das Grundproblem von kreativer Arbeit. Die beste Methode, um darüber hinwegzukommen, ist, andere Leute zu involvieren, Feedback einzuholen und so ein Gefühl dafür zu bekommen, was tatsächlich gut ankommt. Denn ich persönlich finde alles, was ich schreibe, erst mal sehr schlecht. Deswegen kann ich mich auf mein eigenes Gefühl nicht verlassen. 

Das Besondere an »Flüsterwelt« ist ja, dass der Podcast »always on« ist. Was bedeutet das?

Gregor: Es gibt wahnsinnig tolle fiktionale Podcast-Formate – insbesondere im englischsprachigen Raum, in Deutschland gibt es noch erstaunlich wenig. Aber die gehen dann sechs, acht Folgen und dann war’s das. Dabei funktionieren Podcasts ja eigentlich nicht so. Sie begleiten dich über längere Zeit, es kommt immer wieder eine neue Folge, man baut eine innige Beziehung zu den Hosts auf. Wir haben mit »Flüsterwelt« versucht das auf die Fiction-Ebene zu bringen. Der Gedanke hinter »always on« ist: Für die nächsten paar Monate kannst du dir sicher sein, dass du jeden Sonntag eine neue Folge in deiner Podcast-App findest. Dementsprechend ist die Story so angelegt, dass sie theoretisch niemals endet. Wir bewegen uns da nicht in einer Soap, aber in einer Welt, in der wir Stück für Stück immer mehr kennenlernen, in der es immer neue Abenteuer geben wird, immer neue Herausforderungen und nicht einfach nur eine Geschichte mit Anfang, Mitte und Ende. Wir haben jetzt 20 Folgen produziert, aber auch nach dem Ende könnte es nahtlos weitergehen.

»Für die nächsten paar Monate kannst du dir sicher sein, dass du jeden Sonntag eine neue Folge in deiner Podcast-App findest. Dementsprechend ist die Story so angelegt, dass sie theoretisch niemals endet.«

Und wie macht man so was? Ich stelle mir das schwierig vor, mir eine Geschichte auszudenken, die in 20 Folgen funktionieren kann, aber auch danach einfach weitergehen könnte.

Gregor: Ich glaube, es gibt viele Möglichkeiten, das zu tun. Eine davon – das ist jetzt die, die wir gewählt haben – ist, dass man mit einer übernatürlichen Welt arbeitet. Ich vergleich das mal sehr bewusst mit einem Krimi. Ein Krimi ist eine Geschichte, die irgendwann zu Ende erzählt ist, denn irgendwann musst du verraten, wer die alte Frau Meyer umgelegt hat. Dann ist die Geschichte erst mal vorbei. Was wir erzählen, ist das komplette Gegenteil davon: Jede Antwort, auf die wir stoßen, führt wieder zu neuen Fragen, so wie das in vielen Serien auch passiert. Ich finde »Lost« – auch wenn da viele mit dem Finale nicht zufrieden waren – ein ganz schönes Beispiel, weil das eine Serie war, bei der man sich einerseits total für die Figuren interessiert, man aber auch wissen möchte, in was für einer Welt wir uns befinden. In jeder Folge gibt es neue Enthüllungen, neue Möglichkeiten, die aufgemacht werden. Und in diesen 20, 40, 100 Folgen »Flüsterwelt« passiert genau das Gleiche. Wir fangen relativ klein an. Die Serie beginnt in einem Verhörraum mit nur zwei Leuten. Und in jeder Folge wird die Geschichte ein bisschen größer. In jeder Folge erfahren wir mehr über diese Welt, erfahren wir mehr über unsere Figuren, bis man hoffentlich gar nicht mehr anders kann, als unbedingt wissen möchte, wie es weitergeht.

Die Folgen sind ja relativ gleich lang und enden immer mit einem Cliffhanger. Denkst du dir erst den Cliffhanger aus und schreibst dann das Skript oder wie funktioniert das?

Gregor: Ich habe den kompletten Plot sehr sorgfältig strukturiert geplant, bevor ich ein Wort geschrieben habe. Und diese Struktur dreht sich zu einem sehr großen Teil um die Cliffhanger. Alle 20, 25 Minuten brauche ich also einen – und die standen alle schon sehr früh fest. Auch der Schluss, also der Cliffhanger von Folge 20, der letzten, die aktuell produziert ist, war eine der ersten Sachen, die fest geplant waren.

Das frage ich mich immer, wenn ich Serien gucke – zum Beispiel jetzt gerade »Manifest« – ob die Macher*innen schon bei der ersten Folge wissen, wie alles zu Ende gehen soll. Bei so Serien wie »Lost« hat man oft irgendwann das Gefühl, die schreiben einfach nur noch weiter, weil es sich gut verkauft, aber wissen gar nicht, wo es hingehen soll.

Gregor: Ja, das ist oft die Debatte. Das allerbeste Beispiel dafür ist »Game of Thrones«, wo die Autoren fünf Staffeln lang mit der Buchvorlage arbeiten konnten und als sie keine mehr hatten, auf einmal die Qualität spürbar nachgelassen hat, weil sie nicht wussten, wo sie eigentlich die ganze Zeit hinwollten. Bei »Lost« war spannend, dass die Fans irgendwann so gut darin wurden zu erraten, was als nächstes passiert, dass die Autoren das Gefühl hatten, sie müssten den Fans vorauseilen und entsprechend möglichst unberechenbar schreiben. Gleichzeitig muss man natürlich auch immer offen dafür sein, dass sich Dinge verändern, wenn man merkt, eine Figur funktioniert besonders gut oder ist besonders beliebt. Dann ist es keine schlechte Idee, sie länger zu behalten. Das ist zum Beispiel bei »Breaking Bad« passiert. Da sollte Jesse ursprünglich am Ende von Staffel 1 sterben. Ein Glück, dass die sich nicht an den ursprünglichen Plan gehalten haben. Aber ich glaube, die goldene Mitte liegt darin, die Richtung zu kennen, aber auch immer offen für Veränderungen zu sein, einen Umweg zu nehmen.

»Bisher war oft so der Gedanke, dass fiktionale Podcasts anders funktionieren als Laber-Podcasts. Ich glaube, dem ist nicht so. «

Ich finde es bemerkenswert, wie gut du darin bist, Fiction-Podcasts wirklich als Podcast zu denken. Das war ja schon bei »Lynn ist nicht allein«, dass du einen Podcast in einem Podcast hattest. Und jetzt hast du ein Fiction-Format geschaffen, das vom Grundgedanken funktioniert wie ein Podcast.

Gregor: Das ist sehr lieb. Ich glaube, letztlich ist eine ganz große Inspiration für mich immer »Die drei Fragezeichen« gewesen. Meine geheime Meinung war schon immer: »Die drei Fragezeichen« funktionieren genauso wie ein Podcast. Du schaltest immer wieder ein, es passiert immer ungefähr das Gleiche, die Stimmen sind immer dieselben. Es wäre wahnsinnig komisch, wenn einer von ihnen fehlen würde. Der Reiz kommt gerade daher, dass wir sie über lange Zeit begleiten. Aber »Die drei Fragezeichen« schaffen das ja auch auf einer fiktionalen Ebene. Und ich glaube, bisher war oft so der Gedanke, dass fiktionale Podcasts anders funktionieren als Laber-Podcasts. Ich glaube, dem ist nicht so. Ich glaube, man begleitet eine fiktionale Figur – ob das jetzt Justus Jonas oder Harry Potter ist – genauso gerne durch ihr Leben wie eine real existierende Person. Audio ist einfach ein so tolles Medium dafür, weil du die Leute direkt in dein Ohr reinlässt. Deswegen finde ich das wahnsinnig spannend, eine Form von Storytelling zu finden, die in anderen Medien nicht funktionieren würde.

Flüsterwelt Podcast Cover
Jeden Sonntag erscheint eine neue Folge von »Flüsterwelt«

Denise Fernholz

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